Offener Brief der Mitgliederversammlung des Bayerischen Elternverbands

Erstellt von Martin Löwe | | Information

Sehr geehrter Herr Staatsminister Professor Dr. Piazolo,

unlängst versicherte Amtschef Stefan Graf dem Landesvorsitzenden des BEV, dass das Kultusministerium für alle Szenarien, die während der Pandemie eintreten könnten, Pläne habe, sie würden jedoch nur fallweise öffentlich gemacht. Dies kritisieren wir, denn die Unsicherheit unter Eltern ist groß und schafft unnötige Aufregung. Uns erreichen täglich zahllose Fragen besorgter und inzwischen entkräfteter Mütter und Väter. Diese Eltern nehmen nur ständige punktuelle Korrekturen im Schulwesen wahr, die auf ein baldiges Ende der Pandemie setzen. Eine lange Sicht auf die Bildungsverläufe der Kinder sowie auf weitere Wellen und weitere Pandemien, vor denen Wissenschaftler schon warnen, vermissen sie.

Unser Bemühen, unter Eltern Gelassenheit zu verbreiten, stößt mittlerweile an deutliche Grenzen. Wir reichen daher folgende Fragen an Sie weiter und bitten Sie um sehr konkrete Antworten.

1. Übertritt

Sollen beim Übertritt nun weiterhin Noten den Ausschlag geben? Halten Sie dies angesichts nur weniger Proben und höchst unterschiedlicher Lernbedingungen, die die Kinder im Distanzunterricht hatten, wirklich für objektiv, vergleichbar und aussagekräftig?

Wie kommt die Aussage der Lehrkraft zum Übertritt zustande, und wie wird sie gegenüber erhobenen Noten gewichtet?

2. Abschlüsse

Was wollen Sie dagegen tun, dass Mittelschülerinnen bzw. -schüler nicht zur Prüfung zum qualifizierenden Mittelschulabschluss zugelassen werden, weil ihnen die hierfür vorgeschriebenen Leistungsnachweise fehlen?

Die Abiturientinnen und Abiturienten in diesem Jahr können seit Wochen keine schriftlichen Prüfungen ableisten. Wie wollen Sie das Punktesystem anpassen, sowohl für die Zulassung zum Abitur wie auch für die Abiturnote selbst?

3. Lehrplan

Bayerns Eltern vermissen eine klare Auskunft zum Umgang mit den Lehrplänen. Letztere müssen während und nach der Pandemie entweder umverteilt oder reduziert werden - oder beides. Was ist hier geplant?

Das ISB hat als Hilfe für Lehrkräfte eine Markierung der Kerninhalte der Lehrpläne erarbeitet. Liegt dazu eine konkrete Umsetzungsanweisung für Lehrkräfte vor? Wie bekommen Lehrkräfte Rechtssicherheit, dass die Anwendung dieser Reduzierung keine dienstrechtlichen Folgen mit sich bringt?

Wie wird sichergestellt, dass zentrale Prüfungen den markierten Kernbereich des Lehrplans nicht verlassen?

4. Distanzunterricht

Nach unserer Umfrage vom Februar 2021 bekommen noch immer zu viele Schülerinnen und Schüler (31 %) keinen ordentlichen Distanzunterricht. Die Wissensvermittlung erfolgt nicht im Austausch zwischen Lehrkraft und Schülerin bzw. Schüler, sondern beschränkt sich auf Aufträge zur selbständigen Arbeit. Wie wollen Sie die durchgängige praktische Umsetzung der kultusministeriellen Vorschriften zum Distanzunterricht mit dem Ziel einer gleichmäßigen Qualität in jeder Klasse sichern?

5. Förderunterricht und Brückenangebote

Die Schulen können aufgrund des Personalmangels nicht ausreichend Brückenangebote anbieten. Auch Teamlehrkräfte und Entlastung durch Schulassistenzen können dem offensichtlich nicht abhelfen. Wie gedenken Sie, über die bisherigen Maßnahmen hinaus diesen Mangel zu beheben?

Wird dafür proaktiv zusätzliches Personal angeworben und eingestellt?

Ist eine höhere Vergütung und bessere Absicherung (Festanstellung!) zur Steigerung der Attraktivität entsprechender Stellen geplant?

Wird daran gedacht, für Fördermaßnahmen auch von Kurzarbeit betroffene pädagogisch versierte Personen, wie z. B. Nachhilfelehrerinnen und -lehrer zu attraktiven Bedingungen ins System zu holen?

Wie viele zusätzliche Lehrerstellen stellen Sie ab dem Schuljahr 2021/22 bereit?

6. Notbetreuung

Kinder können während der Notbetreuung vielerorts nicht am Distanzunterricht teilnehmen, weil die Schulen und Tagesstätten, wo die Notbetreuung stattfindet, technisch nicht entsprechend ausgestattet sind. Wie wollen Sie dem kurzfristig entgegentreten?

Was gedenken Sie dagegen zu tun, dass viele Kinder in der Notbetreuung, die am Distanzunterricht teilzunehmen versuchen, von den Betreuerinnen oder Betreuern nicht einmal technische Hilfe bekommen, mit der Begründung, dies stelle eine Bevorzugung gegenüber den Kindern zuhause dar?

Warum werden Erzieherinnen und Erzieher in Kurzarbeit geschickt, obwohl sie in der Notbetreuung und in Brückenangeboten die Lehrkräfte entlasten könnten? Arbeiten Sie an Kooperationsplänen zwischen Kita- und Schulträgern? – Gibt es hierzu eine interministerielle Kooperation oder ist sie geplant?

Warum können Förderlehrkräfte nicht den täglichen Morgenkreis für Klassen im Distanzunterricht durchführen, wenn deren Klassenleitungen im Präsenzunterricht gebunden sind?

7. Leistungserhebungen

Weil schriftliche Leistungen nicht in dem üblichen Umfang erhoben werden konnten, bekommt eine einzelne "verhauene" Schulaufgabe nun ein unverhältnismäßiges Gewicht. Wie wollen Sie den dadurch entstehenden Unwuchten entgegentreten?

Sollen künftig mehr mündliche Leistungserhebungen die verminderte Anzahl an schriftlichen ausgleichen? Wie sollen ausgefallene schriftliche Leistungserhebungen ersetzt werden?

Warum werden keine alternativen Formen der Leistungserhebung diskutiert?

8. Wiederholer

Mehr Schülerinnen und Schüler als sonst werden dieses Schuljahr unfreiwillig wiederholen müssen. Was werden Sie unternehmen, damit sie nicht benachteiligt werden, sei es durch Überschreiten von Altersschwellen oder von Höchstschul-, Höchststudien- oder Höchstausbildungsdauer?

9. Hygieneschutzmaßnahmen, auch für die Zukunft

Die Zeit der Schulschließungen hätte genutzt werden können, um die Schulen in hygienischer Hinsicht sicherer zu machen (Lüftungsanlagen, Luftfiltergeräte, Plexiglaswände, mehr Busfahrten etc.) und so längere Präsenzphasen zu ermöglichen. Was wollen Sie unternehmen, damit die Schulaufwandsträger tätig werden und die dafür bereitstehenden staatlichen Mittel nun zügig investieren?

Wird als Anreiz für die Sachaufwandsträger an eine Aufstockung der jetzigen Zuschussquote von derzeit 50 % für Luftfilteranlagen gedacht? Oder an andere Anreize?

Was unternehmen Sie, um die Schulen für künftige weitere Infektionswellen oder Pandemien mit anderen Erregern fit zu machen?

Wird die Schulbauverordnung durch bessere Raum- und Lüftungskonzepte an künftige Pandemien angepasst, mit dem Ziel, dass die Sachaufwandsträger zu entsprechenden Maßnahmen verpflichtet werden können?

Planen Sie eine Standardausstattung von Bestandsgebäuden mit lüftungstechnischen Anlagen oder Luftfiltern mit der Verpflichtung zur Nachrüstung?

Werden Sie die Klassenstärken so weit herabsetzen, dass dann überwiegend Präsenzunterricht mit genügend Abstand stattfinden kann?

 

 

Wir Eltern wollen in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren den Schulalltag mit unseren Kindern gut bewältigen und nicht in ständig bohrender Unsicherheit gelassen werden. Wir brauchen Perspektiven, wie es weitergeht, damit wir uns auf die Zukunft - und sei es auch in verschiedenen Szenarien - einstellen können.

Wir bitten Sie, unsere Fragen zeitnah zu beantworten.

Mit freundlichen Grüßen

im Auftrag der Mitgliederversammlung des BEV
Martin Löwe, Landesvorsitzender

 

Das Antwortschreiben des Kultusministeriums vom 7. April 2021