LehrplanPLUS für das Gymnasium

Erstellt von Martin Löwe |

Stellungnahme zum Entwurf des LehrplanPLUS für das Gymnasium vom 31. Mai 2015

Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Püls,

aus Sicht des Bayerischen Elternverbands (BEV) ist der LehrplanPLUS für die Gymnasien ein Gewinn. „Das Gymnasium dient als Lern- und Lebensraum der Bildung des ganzen Menschen. Dafür werden nicht nur Wissensbestände, Fähigkeiten und Fertigkeiten erarbeitet, sondern auch nachhaltig Kompetenzen aufgebaut und die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler gestärkt.“(1) Diese Formulierung des Anspruchs gymnasialer Bildung entspricht einer seit langem vom BEV erhobenen Forderung. Wir begrüßen, dass hierdurch „die Neugier auf Unbekanntes, die Einsicht in die Notwendigkeit lebenslangen Lernens und die Bereitschaft, variable und verantwortbare Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln, gefördert“(2) wird.

Ebenso begrüßen wir, dass der LehrplanPLUS den Schulen und damit Lehrenden wie Lernenden bewusst Freiraum für die konkrete Ausgestaltung lässt(3). Umso entscheidender sind jedoch die Rahmenbedingungen für dessen Umsetzung. Sind diese nicht gegeben, so müssen die Schulen an dem hohen Anspruch des LehrplanPLUS scheitern.
Die Schaffung folgender Rahmenbedingungen erachten wir als unverzichtbar für die Einführung des LehrplanPLUS.

  1. Die Ausbildung der künftigen Gymnasiallehrkräfte muss auf den LehrplanPLUS zugeschnitten sein, hierzu ist insbesondere eine quantitative und qualitative Stärkung des pädagogischen, didaktischen und psychologischen Anteils der Ausbildung notwendig. Weiter sind die fächerübergreifenden Anforderungen des LehrplanPLUS bei den Studieninhalten zu berücksichtigen.
  2. Die am Gymnasium bereits tätigen Lehrpersonen müssen insbesondere eine pädagogische Fortbildung absolvieren, die sie für die Umsetzung des LehrplanPLUS stärkt. Idealerweise findet diese praxisbezogen am Gymnasium vor Ort statt.
  3. Eine dem LehrplanPLUS entsprechende Unterrichtsgestaltung kann nur mit kleineren Klassen bzw. Arbeiten in Kleingruppen erfolgreich umgesetzt werden. Hierzu benötigen die Schulen mehr pädagogisches Personal sowie ausreichende und gut ausgestattete Räumlichkeiten.
  4. Auch in Zukunft werden Lehrkräfte ihren Unterricht anhand der verwendeten Lehrbücher aufbauen. Deshalb sind die Lehrbücher in Inhalt und Zielsetzung dem LehrplanPLUS anzupassen. Die Kompetenzorientierung soll auch hier im Vordergrund stehen, d. h. das Lernziel muss klar formuliert sein. Weiter muss erkennbar sein, welche Inhalte verpflichtend und welche fakultativ sind. Dementsprechend gestaltete Lehrbücher sind entscheidend, damit Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam das gleiche Ziel verfolgen können. Eine flächendeckende Einführung digitaler Lehrbücher würden wir in diesem Zusammenhang begrüßen.
  5. Das System der Leistungserhebung ist den Zielen des LehrplanPLUS anzupassen. Das bisherige System permanenter Leistungsmessung begünstigt bloßes Auswendiglernen, nach der Leistungsabfrage wird Gelerntes sofort vergessen. Nachhaltiges Lernen sowie die Entwicklung von Kompetenzen und einer Persönlichkeit benötigen jedoch Zeit. Deshalb fordern wir die Abschaffung von unangekündigten Leistungsnachweisen, eine klare Trennung von Lern- und Prüfungssituationen und die Stärkung von alternativen Prüfungsformen.


Zum vorliegenden Entwurfstext des LehrplanPLUS(4) haben wir folgende Anmerkungen.

  1. Inklusion und individuelle Förderung
    Der Gedanke der Inklusion ist zu wenig berücksichtigt. Es findet sich lediglich ein generelles Bekenntnis der Berücksichtigung der Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf(5), die einzelnen Fachlehrpläne sehen außer bei Sport und Musik keine weitere Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse vor. Aus unserer Sicht ist eine deutliche Motivation zur Umsetzung der Inklusion für Schulleitungen und Lehrkräfte im LehrplanPLUS notwendig.
    Inklusion bezieht sich jedoch nicht ausschließlich auf Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen, sie betrifft vielmehr alle Schülerinnen und Schüler in ihrer Individualität. Wir vermissen daher über die Feststellung der Heterogenität der Schülerschaft(6) hinausgehende konkrete Ausführungen, die z. B. die Problematik der Migrantenkinder, der Kinder mit sozial-emotionalen Störungen oder der hochbegabten Kinder aufgreift.
  2. Dauer der gymnasialen Bildung und Übergänge
    Wir begrüßen, dass der LehrplanPLUS auf acht Schuljahre angelegt ist. Trotzdem fordert der BEV, dass jedem Kind individuell die Zeit gegeben wird, die es für die Erlangung der allgemeinen Hochschulreife benötigt, also acht, neun, zehn oder elf Jahre. Vor allem in der Mittelstufe, bei Bedarf auch in Unter- und Oberstufe, müssen die Schülerinnen und Schüler entlastet werden können.
    Kinder aus Übergangsklassen bzw. mit Migrationshintergrund sowie Kinder mit Legasthenie, Dyskalkulie, AD(H)S oder Autismus brauchen oft mehr Zeit zum Lernen, auch Hochbegabte lernen am liebsten in ihrem eigenen Tempo. Der Individualität der Schülerinnen und Schüler würde besser entsprochen, wenn diese stärker ihren eigenen Lernprozess gestalten könnten. Dem Menschenbild und Bildungsverständnis der seit 2012 in Kraft getretenen Bildungsleitlinien für die Bildung und Erziehung von Kindern würde somit Rechnung getragen und sie würden im Gymnasium fortgeschrieben.
    Die Formulierung „sie lernen schnell“(7) empfinden wir in diesem Zusammenhang als absolut kontraproduktiv.
    Konsequent hierzu wäre die Einführung einer flexiblen Übergangsphase in der Grundschule in den Jahrgangsstufen 3 und 4, die in einem, zwei oder drei Jahren durchlaufen werden kann. Der Übertrittsdruck könnte somit reduziert und das nachhaltige Lernen wieder in den Vordergrund gestellt werden.
  3. Fächerübergreifender Unterricht
    Die beabsichtigte Stärkung fächerübergreifender Themen ist begrüßenswert und notwendig für ein tieferes Verständnis der komplexen Zusammenhänge. Wir vermissen jedoch eine Verankerung dieser in den Fachlehrplänen. Es scheint uns, als seien fächerübergreifende Themen beschränkt auf freiwillige Initiativen „innerhalb der Klasse oder Jahrgangsstufe oder bei Veranstaltungen der ganzen Schule“(8). Ohne Verankerung in den Fachlehrplänen, z. B. durch konkrete Vorschläge für Projektarbeiten, wird die Fächerzersplitterung weiter bestehen.
  4. Fremdsprachen / methodische Kompetenzen
    Wir wünschen uns, dass in den Fachlehrplänen wenigstens zu Beginn der ersten Fremdsprache explizit die zumindest beispielhafte Vorstellung verschiedener Methoden des Vokabellernens verankert ist. Diese müssen auch in den Lehrbüchern aufgegriffen werden und mit den handelsüblichen Lernmitteln abgestimmt sein. Bei den Methoden müssen Erkenntnisse der modernen Lern- und Bildungsforschung einfließen. Der Individualität verschiedener Lerntypen muss durch freie Wahl der richtigen Methode Rechnung getragen werden. Ausschließlich handgeschriebene Vokabelhefte sind z. B. für Buben und Legastheniker wenig geeignet. Bisher wurde dieses Thema im Unterricht häufig nur am Rande erwähnt und damit den Familien überlassen. Kinder scheitern am Gymnasium jedoch häufig an den Fremdsprachen.
  5. Medienkompetenz / Lernen am Computer
    Im Fach Deutsch wird beim Verstehen von Texten erfreulicherweise der Bandbreite der existierenden Medien Rechnung getragen. Beim Verfassen von Texten vermissen wir jedoch die Berücksichtigung des Tastaturschreibens nach dem 10-Finger-System. Für uns stellt diese eine wichtige Fertigkeit dar, in der Gymnasiasten Schülerinnen und Schülern anderer Schularten nicht nachstehen dürfen.

Kinder- und Jugendpsychiater weisen immer wieder darauf hin, dass durch den derzeitigen Zustand des Schulsystems viele Probleme verursacht werden. Nicht nur Schülerinnen und Schüler, auch viele Lehrerinnen und Lehrer arbeiten sich unter den derzeitigen Verhältnissen auf. Der LehrplanPLUS lässt hoffen, dass durch eine kompetenzorientierte Unterrichtsgestaltung, geprägt von angemessener Methodenvielfalt jedes Kind in seinem eigenen Tempo und nach seinen Voraussetzungen lernen kann. Wir wünschen daher dem LehrplanPLUS und Ihnen bei dessen Optimierung viel Erfolg!

Mit freundlichen Grüßen
Martin Löwe, Landesvorsitzender
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1 LehrplanPLUS, Bildungs- und Erziehungsauftrag des Gymnasiums, Abschn. 1, Abs. 1, Satz 1 und 2
2 LehrplanPLUS, Bildungs- und Erziehungsauftrag des Gymnasiums, Abschn. 1, Abs. 4, Satz 4
3 vgl. LehrplanPLUS, Bildungs- und Erziehungsauftrag des Gymnasiums, Abschn. 4.1, Abs. 2
4 siehe http://www.lehrplanplus.bayern.de/schulart/gymnasium
5 vgl. LehrplanPLUS, Bildungs- und Erziehungsauftrag des Gymnasiums, Abschn. 2, Abs. 1, Satz 3
6 vgl. LehrplanPLUS, Bildungs- und Erziehungsauftrag des Gymnasiums, Abschn. 2, Abs. 1, Satz 1
7 vgl. LehrplanPLUS, Bildungs- und Erziehungsauftrag des Gymnasiums, Abschn. 2, Abs. 3, Satz 1
8 LehrplanPLUS, Bildungs- und Erziehungsauftrag des Gymnasiums, Abschn. 3.1, Abs. 3, Satz 1