Offener Brief: Schuljahr 2020/21: Wünsche und Forderungen des Bayerischen Elternverbands

Erstellt von Martin Löwe | | Information

Sehr geehrter Herr Kultusminister Piazolo,

die gesamte Schulgemeinschaft rechnet auch im neuen Schuljahr mit neuen zeitweiligen Schließungen von Schulen und Kitas wegen Infektionen mit SARS-CoV-2. Im Folgenden möchten wir Ihnen einige Gedanken übermitteln, die nach unserer Wahrnehmung bisher nicht ausreichend Beachtung fanden, sowie Forde-rungen dazu.

Altersgerechtes Vorgehen bei Schulschließungen

Kinder und Jugendliche spielen keine einheitliche Rolle im Infektionsgeschehen. Virologen und Kinderärzte haben altersabhängige Unterschiede bei der Ansteckung und Ansteckbarkeit festgestellt, der Übergang in die infektiologische Rolle der Erwachsenen soll bei 11-13 Jahren liegen. Daher machen pauschale Hygienevorschriften und Schließungen von Einrichtungen wenig Sinn. Auch muss bedacht werden, dass die Bedürfnisse der Kinder je nach Alter unterschiedlich sind - jüngere brauchen z. B. mehr persönlichen Kontakt zur Lehrkraft als ältere - und dass man ihnen durch altersangepasste Hygienemaßnahmen unnötige Nachteile ersparen kann.

Der BEV fordert:

-    Die bayerischen Ministerien StMGP und StMuK legen zusammen mit Kinderärzten und Virologen Regeln für die Aussetzung oder Ausdünnung des Präsenzunterrichts fest, die die unterschiedliche Rolle der Schülerinnen und Schüler bei Infektionen und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse, je nach Alter, berücksichtigt. Grundsatz: Jüngere Schülerinnen und Schüler bleiben länger im - u. U. geteilten - Präsenzunterricht, ältere werden eher aus der Ferne beschult, Masken kommen bei jüngeren später zum Einsatz.

-    Damit das Leben der Familien besser kalkulierbar wird, werden diese Regeln transparent gemacht.

Modus von Klassenteilungen

Manche Schülerinnen und Schüler sind mit der Fernbeschulung gut zurechtgekommen, andere dagegen gar nicht. Dies soll bei künftigen Klassenteilungen berücksichtigt werden.

Der BEV fordert:

-    Bevorzugt sollen diejenigen Schülerinnen und Schüler in der Schule unterrichtet werden, die bisher mit dem Distanzunterricht nicht erreichbar waren, nicht aktiv mitgemacht haben, keine geeigneten Geräte haben oder damit nicht zurechtkommen, ferner diejenigen, die auf den persönlichen Kontakt mit der Lehrkraft besonders angewiesen sind. Wer gut zurecht kommt und es gerne möchte, soll - neben Risikopersonen - am Fernunterricht teilnehmen. Die Einteilung nehmen die Lehrkräfte in Absprache mit den Erziehungsberechtigten vor.

Auffüllen von Wissenslücken

Viele Eltern machen sich große Sorgen, dass der Lehrplan quasi selbstständig an den Schülerinnen und Schülern „vorbeizieht“ und lebenslänglich Wissenslücken hinterlässt. Da die vom Kultusministerium verbreiteten Informationen über die Ankom-mensphase im neuen Schuljahr mit Feststellung des Leistungsstands, Förderstunden und Nachholen von Wissen, auf dem später aufgebaut wird, nicht zu allen Eltern durchgedrungen waren, begrüßen wir Ihr Schreiben an die Erziehungsberechtigten vom 24. Juli 2020. Allerdings setzen wir nur begrenzte Hoffnung in seine Aufklärungskraft, da hier die einzelnen Maßnahmen nicht weiter erläutert werden. So werden wir weiter von Eltern nach Einzelheiten gefragt. – Nur am Rande sei hier angemerkt, dass wir dringend empfehlen, Schreiben Ihres Hauses an die Eltern grundsätzlich sprachlich einfacher, konkreter und reicher an Beispielen zu halten, wenn sie an Eltern aller Schularten verteilt werden.

Ein echtes Problem in diesem Zusammenhang ist, dass neben Eltern auch viele Lehrkräfte nicht über das Nachholen von Lernstoff im Bilde sind. Andernfalls hätten sie ihre Schülerinnen und Schüler nicht aufgefordert, in den Ferien den nicht durchgenommenen Stoff nachzuholen. Wenn Lehrkräften nicht klar ist, dass sie - und nicht die Eltern - die Verantwortung für den Wissenstransfer tragen, kommt es zu weiteren Bildungsbenachteiligungen bei den Schülerinnen und Schülern. Dies darf sich nach den diesbezüglich problematischen Erfahrungen des vergangenen Schulhalbjahres nicht in das neue Schuljahr ziehen.

Der BEV fordert

-    ein entsprechendes Schreiben an alle Lehrkräfte zur niederschwelligen Klarstellung, wie mit nicht durchgenommenem Stoff verfahren wird.

Strukturelles Konzept für Fernbeschulung

Der BEV vermisst ein strukturelles Konzept für die Fernbeschulung. Zu viele unterschiedliche Anwendungen und Übermittlungswege sorgen für Unübersichtlichkeit, zu viele Schülerinnen und Schüler können sich herausstehlen.

Der BEV fordert:

-    Für den Distanzunterricht wird den Schulen eine Positivliste übergeben, die datenschutzrechtlich unbedenkliche Kommunikationsmittel, Software und Dienstanbieter enthält, analog zu anderen zugelassenen Lehrmitteln.

-    Der Fernunterricht wird nach einem festen Stundenplan durchgeführt, der die Schülerinnen und Schüler in eine zeitliche Struktur bringt.

-    Neben regelmäßigem und häufigem Feedback zu den Schülerleistungen im Fernunterricht haben Lehrkräfte zu den Schülerinnen und Schülern täglich direkten Kontakt, vorzugsweise per Videokonferenz oder Telefon.

-    Die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler am Distanzunterricht wird durch die Lehrkräfte kontrolliert und dokumentiert.

-    Die zur Anwendung kommenden digitalen Mittel, Wege und Lernstrategien werden schulweit festgelegt, bekannt gegeben und zu Beginn des Schuljahres eingeübt.

-    Schülerinnen und Schüler, die zuhause lernen, sollen bevorzugt per Livestream am parallelen Präsenzunterricht teilnehmen können, hierfür sind entsprechende technische Möglichkeiten zu schaffen.

Transparenz bei der Unterrichtsorganisation und Ausschöpfung der Lehrerstunden

In Zeiten, wo Eltern dringend wieder Verlässlichkeit und ausreichend Zeit für ihre Arbeit brauchen, stößt es auf wenig Verständnis, wenn bei Klassenteilungen der Präsenzunterricht auf nur 2½ oder drei Stunden beschränkt ist. Allenfalls dort, wo eine Lehrkraft zwei Gruppen am Tag unterrichtet, lässt sich eine derart geringe Dauer rechtfertigen. Bei einem Präsenzausfall von ca. 11 % der Lehrkräfte (so dargestellt von Ihrer Abteilung für Grund-, Mittel- und Förderschulen am 27. Juli 2020) und der Anforderung, dass diese zusammen mit derzeit aus anderen Gründen (z. B. Nebenfach) nicht geforderten Lehrkräften den Fernunterricht übernehmen, ist nicht nachvollziehbar, dass viele Klassen an der Hälfte aller Schultage nur drei Schulstunden in der Schule sind. Manche Schulen schaffen es dagegen, jede Klasse jeden Tag in zwei Gruppen im Präsenzverfahren zu beschulen.

Der BEV fordert

-    die Ausschöpfung aller Deputatsstunden der Lehrkräfte, damit sowohl der Distanz- wie auch der Präsenzunterricht möglichst umfangreich erteilt wird.

-    Transparenz über die für Präsenz- und Distanzunterricht verfügbaren Lehrerstunden gegenüber dem Elternbeirat,

-    die Abstimmung mit dem Elternbeirat über die Unterrichtszeiten und den Wechselmodus der Gruppen und

-    die Verbindlichkeit des so gefundenen Verfahrens.

Digitale Basiskompetenzen niederschwellig schulhausintern lernen

Wollte man jede Lehrkraft zum Erlernen einfachster digitaler Anwendungen und Techniken erst zur ALP nach Dillingen schicken, würde sich der Erfolg erst nach Jahren einstellen. Deutlich schneller kommt man mit kleinen informellen Übungseinheiten innerhalb der Schule voran, die keiner Genehmigung als Fortbildung benötigen. Dafür muss jetzt die Rolle der Schulleitungen gestärkt werden. Sie sollen auf die Kompetenz von digital versierten Lehrkräften und Eltern zurückgreifen können, um ihr Kollegium bei einfachen Anwendungen voran zu bringen.

Der BEV fordert:

-    Schulleitungen bekommen vom Kultusministerium eine Liste einfacher digitaler Anwendungen und Techniken (z. B. Anlegen von virtuellen Klassenräumen in Mebis, kollaboratives Arbeiten mit Mebis, Videokonferenz, Erstellen von interaktivem PDF, kollaborative Dokumentenbearbeitung, ...), die besonders für den Distanzunterricht notwendig sind.

-    Alle Lehrkräfte, die sie noch nicht beherrschen, werden verpflichtet, sie kurzfristig zu erlernen, ein Zeitziel wird vereinbart.

-    Die Schulleitungen ermitteln im Kollegium, wer welche dieser Techniken beherrscht und wer darin Unterweisung benötigt. Daraufhin stellen sie kleine Gruppen zusammen, wo jeweils ein „Könner“ den anderen diese Techniken vermittelt und mit ihnen einübt. Auch Hilfsangebote kompetenter Eltern werden genutzt.

-    Jede Schule benennt einen schulinternen Ansprechpartner für Fragen zu digitalen Anwendungen und Problemen.

-    Lehrkräfte teilen regelmäßig schulhausintern ihre Erfahrungen im Unterricht mit digitalen Medien (Jour fixe).

-    Die bayernweit zur Verfügung stehenden technischen und pädagogischen Medienberater werden regelmäßig eingeladen.

Pädagogisches Basiskonzept zum Unterricht mit digitalen Medien

Das Konzept für den Unterricht mit digitalen Medien ist in Bayern bisher den Schulen überlassen. Wir halten diesen Weg für extrem aufwändig und kräftebindend: Jede Schule erfindet somit das digitale Unterrichtsrad neu! Wir vermissen ein Stufenkonzept mit digitalpädagogischen Standards, auf dem die Schulen peu à peu ihr eigenes Konzept auf- oder weiter ausbauen können, und das den Schulen - auch mit weniger digitalaffinen Lehrkräften - den Weg zeigt, wie der pädagogische Mehr- und Eigenwert digitaler Medien und Unterrichtstools ausgeschöpft wird.

Der BEV fordert

-    ein bayernweites Konzept für den originären(!) Unterricht mit digitalen Medien, das dessen pädagogischen Mehrwert erschließt, sowie

-    digitale Unterrichts- und Prüfungsformate.

 

Anregen möchten wir ferner eine Evaluation des Distanzunterrichts bis zu dessen regulärem Ende gem. § 47 Abs. 2 BaySchO neu. Wir gehen davon aus, dass über den Ablauf hinaus im Erfolgsfall eine Verstetigung der Bestimmungen beabsichtigt ist, hierzu sollte bereits jetzt eine Entscheidungsgrundlage angelegt werden.

 

Für Fragen stehen wir gerne zur Verfügung!

Mit freundlichen Grüßen
Martin Löwe, Landesvorsitzender

Text: Henrike Paede